Kinder # 15

Ich habe in den Jahren 2020 und 2021 immer wieder Texte über die Situation der Kinder verfasst während der Pandemie. Der letzte entstand im Jahr 2022. Das ist nun die Fortsetzung dieser Texte – es geht dabei nur mehr ganz nebenbei um Covid:

Erinnert ihr euch noch an Udo, den Turner?


Udo hat viele Cousins und Cousinen (er nennt sie übrigens Cousininnen 😉 ).

Über ein Jahr ist vergangen, seit euch zum letzten Mal von Udo erzählt habe – das war im März 2022.  Nicht nur seine Cousins und Cousinen haben viel erlebt, sondern auch Udo. Er freut sich, dass das Thema Corona endlich nicht mehr wichtig ist für ihn – obwohl in seiner Klasse (Udo geht jetzt in die vierte Klasse der Mittelschule und will ins Sportgymnasium) ein Schüler ist, der seit den ganzen Coronamaßnahmen so gut wie nie mehr in der Schule ist, weil er „psychische Probleme“ hat – so nennt es zumindest Udos Klassenvorstand.

Udo hat auch mitbekommen, dass am 30. Juni Corona endlich auch in Österreich keine meldepflichtige Krankheit mehr ist. Heute hat Udo jedoch ganz andere Sorgen: er macht sich Gedanken wegen seiner Mutter. Sie hat sich nämlich gerade unheimlich aufgeregt. Sie hat einen Artikel gelesen von einer Zeitschrift im Internet. Und dann ist sie wutentbrannt aufgestanden und hat gerufen: „Ich bin doch nicht rechtsextrem!“ und ist hinaus in den Garten. Das macht sie öfters, wenn sie sich abreagieren muss, dann jätet sie in den Beeten und zupft das Unkraut aus, weil sie das beruhigt.
Was rechtsextrem ist, hat Udo schon in der Schule gelernt. Er findet überhaupt nicht, dass seine Mama rechtsextrem ist. Da sie den Laptop einfach offen stehen gelassen hat, ist Udo neugierig und liest in dem Artikel. Er glaubt, dass er jetzt weiß, warum seine Mutter so sauer ist. In dem Artikel steht nämlich, wenn Udo es richtig versteht, dass Frauen, die ihre kleinen Kinder stillen, sie im Ehebett schlafen lassen und einige Jahre zuhause bleiben wollen bei ihren Kleinen, eventuell rechtsextreme Menschen sind.

Udo weiß, dass seine Mama ihn gestillt hat – nicht, weil er sich noch daran erinnern kann, sondern weil sie ihm davon erzählt hat. Dass er manchmal – auch als er schon älter war – wenn er Probleme hatte beim Einschlafen oder ihn etwas sehr beschäftigt hat, ihm Ehebett seiner Eltern schlafen durfte, daran kann sich Udo noch selbst erinnern. Und er fand das immer ganz toll und hat dann auch besser geschlafen. Sogar an die Zeit, als Mama mit ihm immer zum nahen Bach gegangen ist, um dort zu spielen oder als sein Papa eine Zeit lang zuhause war, bevor Udo mit 4 Jahren in den Kindergarten kam, kann er sich auch noch erinnern. Er fand das richtig toll.

Seltsam findet er, dass er irgendwann einmal mitbekommen hat, dass eine Nachbarin seine Mutter damals deswegen verächtlich ausgelacht hat. Das Wort „rechtsextrem“ ist bei dem Gespräch jedoch nicht vorgekommen, das weiß Udo mit Sicherheit. Und dass seine Eltern eher „politisch links“ sind, haben sie ihm einmal bei einem Gespräch über Politik erklärt.

Als seine Mutter aus dem Garten zurückkommt, sieht Udo ihr an, dass sie immer noch aufgeregt ist. Trotzdem spricht er sie an: „Du, Mama, das war doch super für mich, dass du mich gestillt hast und ihr beide lange Zeit mit mir zuhause verbracht habt, als ich klein war. Warum sollt ihr deswegen Rechtsextreme sein, weil ich erst mit vier Jahren in den Kindergarten gegangen bin und auch einmal bei euch im Bett schlafen durfte? Warum schreiben die so was, Mama?“

Ja, das wüsste seine Mama auch gerne…