Wiens Temperaturhistorie

Vorbemerkung

Vorne weg ein Disclaimer: Ich bin kein Metereologe (obwohl das während meiner Jugend einmal ein möglicher Beruf war, den ich erwogen habe). Ich „interpretiere“ auch keine Zahlen, mache keine Prognosen oder anderes.
Ich zeige nur gerne her, was die Daten – in dem Fall die aus Wien seit dem Jahr 1775 hergeben. Und das ist durchaus beachtlich und bietet Platz für alle möglichen „Denkmuster“, finde ich. Seht selbst:

Meine Vorgehensweise

Was habe ich gemacht? Ich habe mir zuerst die Daten vom Data Hub der ZAMG heruntergeladen zu Wien ab dem Jahr 1775. Seit damals gibt es Aufzeichnungen über die gemessene Temperatur von 7 Uhr morgens, 14 Uhr und 19 Uhr abends. Meines Wissens wurde dabei berücksichtigt, dass irgendwann die Sommerzeit eingeführt (und auch wieder ausgesetzt wurde) – weil das auch immer wieder bei den Fragen auftaucht.

Mit diesen Daten habe ich zwei Sachen gemacht: Einmal habe ich mir den 20-Jahres-Schnitt der einzelnen Tage berechnet. Das heißt, ich habe zum Beispiel für den 1. Mai 2000 berechnet, wie hoch die Temperatur in den 20 Jahren davor an diesem Tag im Schnitt gewesen ist.
Dann habe ich in einem weiteren Schritt berechnet, wie große die Differenz der einzelnen Tage zum 20-Jahres-Durchschnitt ist. Wenn also zum Beispiel die Temperatur am 1. Mai 2000 um 14 Uhr in Wien mit 25,1 Grad angegeben wurde, dann liegt dieser Wert um 7,8 Grad höher als der 20-Jahres-Schnitt von 1980-1999.

Das sieht dann zum Beispiel für den Zeitraum von 1995 bis heute so aus:

Ich habe das laufende Jahr 2023 (gelb) und die beiden Jahre 2015 (rot) und 2022 (orange) farblich hervorgehoben, weil das laut ZAMG in Österreich zwei der wärmsten der Messgeschichte waren. Bei einzelnen Tagen als Vergleichbasis für einen Mittelwert aus 20 Jahren kann es schon zu Schwankungen von +/- 15 Grad kommen.

In einem zweiten Schritt habe ich aus allen Tagestemperaturen (in dem Fall von 14 Uhr) das Jahresmittel errechnet. Dieses liegt zwischen 15,99 Grad im Jahr 1834 und 9,93 Grad im Jahr 1939. Das heißt, die Schwankungsbreite bei der Jahresdurchschnittstemperatur um 14 Uhr in Wien auf der Hohen Warte lag bei fast genau 6 Grad.

Die gelbe Linie zeigt den 20-Jahres-Schnitt, der selbstverständlich die Exterme abfedert und „nur“ zwischen ungefähr 12 Grad zu Beginn des 20. Jahrhunderts und etwa 14,5 Grad zuletzt schwankt – das sind dann 2,5 Grad Unterschied.

In einem dritten Schritt habe ich noch ermittelt, wie viele Tage es mit Temperaturen über bzw. unter einem bestimmten Wert gab. Für 14 Uhr habe ich dabei 30 Grad und 0 Grad gewählt:

Am meisten Tage über 30 Grad gab es demnach im Jahr 1829, als es 36 Mal der Fall war, gefolgt von 2015 mit 32 Tagen über 30 Grad um 14 Uhr an der Mess-Station auf der Hohen Warte. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass es von 1813 bis 1817 kaum heiße Tage gab. 1815 kam es im April übrigens in Indonesien zu einem großen Vulkanausbruch, der in der Schweiz in den Folgejahren die letzte große Hungersnot auslöste. So gab es auch 1815 und 1816 keinen einzigen Tage mit mehr als 30 Grad in Wien. Das war auch (meines Wissens ohne vulkanische Ursache) in der Zeit von 1899 bis 1980 immer wieder der Fall. Seit damals gab es kein einziges Jahre mehr ohne „Hitzetag“. Von 1851 bis 1898 gab es vor mehr als 100 Jahren über 47 Jahre hintereinander zumindest einen Tag mit mehr als 30 Grad. Mit dem heurigen Jahr liegen wir bei 43 Jahren in Folge – es ist gut zu erkennen and er Kurve, dass es generell mehr werden. Der 30-Jahres-Schnitt liegt derzeit bei etwa 15-16 Tagen und lag am niedrigsten in der Zweit der beiden Weltkriege, wo es im Schnitt nur etwa 2-3 Mal im Jahr mehr als 30 Grad hatte.

Nur ein einziges Mal gab es in der Messgeschichte Wiens ein Jahr, in dem es um 14 Uhr NUR EINMAL weniger als 0 Grad hatte: Es war das Jahr 1806 – dasselbe ist bis dato auch für das Jahr 2023 eingetragen – allerdings kann es natürlich bis zum Jahresende hier noch Änderungen geben, wenn es etwa im Dezember oder auch schon im November einen entsprechenden Kälteeinbruch gibt.
80 Mal gab es 1829 Tage unter Null Grad – knapp dahinter folgen 1889 und 1940. Seit 1996 gab es mit 2010 nur ein einziges Jahr, in dem es um 14 Uhr in Wien mehr als 40 Mal unter Null Grad hatte.
Der 30-Jahres-Schnitt schwankt zwischen 44 (rund um 1900) und 22 Tagen (zuletzt).

Andere Uhrzeit, andere Werte…

Was passiert, wenn wir uns nicht die Werte von 14 Uhr, sondern die von 19 Uhr ansehen?

Zuerst einmal ein Vergleich der Jahressummen zum Schnitt: Orange Säulen nach oben bedeuten, dass das Jahr über dem Schnitt der letzten 20 Jahre liegt, blaue Säulen nach unten zeigen Jahre, die kälter als der Schnitt waren. 2023 (ganz rechts) ist grau, weil das Jahr noch nicht mit beurteilt werden kann.
Auffallend sind einerseits die vielen kalten Jahre vor dem Jahr 1900 (immer im Vergleich mit den letzten 20 Jahren davor!) und andererseits die warmen Jahre ab 1970. Seit dem Jahr 2000 waren nur 2004, 2005, 2010 und 2021 kälter als der langjährige Schnitt.

Wie viele Tage mit weniger als -10 Grad gab es in Wien abends um 19 Uhr? Nie waren es mehr als 22 im Jahr 1840 – genau 100 Jahre später waren es mit 21 am zweitmeisten. Im 30-Jahres-Schnitt gab es von 1850 bis 1890 ungefähr 5 Tage mit weniger als -10 Grad, auch Ende der Sechzigerjahre waren es noch etwa 4 – zuletzt gibt es keum mehr solche Tage und der Schnitt sinkt gegen Null.

Die extremste aller Kurven zeigt sich, wenn wir uns anschauen, an wie vielen Abenden es in Wien mehr als 25 Grad gab:

Bis 1980 waren es nie mehr als 5 Tage im 30-Jahres-Schnitt. Danach steigt diese Kurve wirklich dramatisch an und zur Zeit sind es im 30-Jahres-Schnitt fast 25 Tage! Seit 2005 gab es kein Jahr mehr mit weniger als 15 solcher warmen Abende! Bis zum Jahr 1981 gab es nur ein einziges Jahr, an dem es überhaupt für 20 Abende mit mehr als 25 Grad reichte in Wien: das war das Jahr 1807!

Und wie schaut’s am Morgen aus?

Vollkommen anders zeigen sich die Temperaturen um 7 Uhr in der Früh:

Zuerst fällt auf, dass die Abweichungen rund um die Sommermonate deutlich geringer sind als im Winter, wo die Schwankungsbreite deutlich größer ist und bis zu -20 und über +15 geht. Im Sommer sind es nur zwischen +10 und -5 Grad.

Wenn wir hier die Jahres-Mittel anschauen und dabei die 5-Jahres und 20-Jahres-Durchschnittswerte hervorheben, fällt noch etwas auf: Am Morgen war es offensichtlich vor 200 Jahren in etwa gleich warm wie heute!

Das zeigt sich noch besser, wenn wir uns ansehen, an wie vielen Tagen es in Wien um 7 Uhr mehr als 20 Grad hatte: Einsamer Spitzenreiter ist das Jahr 1811 mit 89 Tagen – in den 60 Jahren bis 1835 gab es 11 Mal mehr als 60 „warme Morgen“ in Wien – in den letzten 150 Jahren haben das nur 2018 und 2019 knapp geschafft. Auch der 30-Jahres-Durchschnitt lag um 1811 bei mehr als 50 solcher Tage. Derzeit liegt er bei etwa 35, und das bei zuletzt stark steigender Tendenz seit 1980.

Bei den Tagen mit eisigen Temperturen unter -10 Grad um 7 Uhr ind er Früh sieht es anders aus: hier zeigt sich eindeutig, dass es viel weniger kalte Morgen gibt als früher, wo es seit 1805 bis 1971 fast durchgehend mehr als 5 waren im 30-Jahres-Schnitt. Zuletzt waren es maximal noch 2-3 pro Jahr. Der letzte „kalte Winter“ war 2012 mit 11 solcher Tage.

Fazit

Ich erkenne große Unterschiede bei den Temperturentwicklungen in Wien, wenn ich nach Tageszeiten differenziere. Während es mittags und vor allem abends immer wärmer wird, ist es am Morgen noch so, dass es um 7 Uhr vor 150 bis 200 Jahren deutlich wärmer war.
Was alle drei Uhrzeiten gemeinsam haben, ist die Abnahme der kalten Tage. Und natürlich ist das nur EINE Station in ganz Österreich – allerdings die einzige, von der es so lang zurückreichende Messdaten gibt. Wenn ich Zeit habe, werde ich mir einmal ein paar der anderen Stationen, die ich datenmäßig bereits erfasst habe, anschauen. Vielleicht zeigt sich bei Messdaten aus ländlichen Gegenden ein anderes Ergebnis?

Was ich noch gelernt habe: 1800 und 1900 waren KEINE Schaltjahre. Und für den 31. August 1852 fehlen die Daten komplett – der ganze Tag scheint nicht auf in den Daten. Auch für 313 andere Tage von 1795 bis 31. Dezember 2022 fehlen einzelne Messwerte.