Das Ländle und der Tod

Am schlimmsten soll es Vorarlberg getroffen haben mit der “Übersterblichkeit”, hieß es jetzt überall. Nachdem ich gerade die Zahlen aufbereitet habe, habe ich diese auch für Vorarlberg angeschaut. Datenquelle ist die Statistik Austria.

Auch hier handelt es sich wieder um die Zahlen pro 100.000 Menschen und pro Woche. Das heißt, dass in der ersten und letzten Kalenderwoche immer ein paar wenige Todesfälle enthalten sind, die dem Vorjahr oder dem nachfolgenden Jahr zuzuordnen sind, wenn es um die Jahres-Summe geht. Diese stelle ich allerdings nicht dar, sondern ermittle die Werte pro Woche.

War 2022 schlimm?

Das sind die Zahlen, die zeigen, wie viele Menschen pro Kalenderwoche im Schnitt starben seit dem Jahr 2000 in Vorarlberg – und zwar pro 100.000 Menschen, damit die Zahlen vergleichbar bleiben mit anderen Bundesländern oder auch den einzelnen Altersgruppen.
Wir erkennen auf Anhieb, dass 2022 eindeutig am höchsten ist. Starben im Jahr 2000 noch knapp mehr als 13 Menschen pro Woche, so waren es im abgelaufenen Jahr 2022 fast 17. Verglichen mit dem Schnitt der 20 Jahre vor der Pandemie (2000-2019) sind das 23,6% mehr Todesfälle. Verglichen mit den letzten zehn Jahren vor 2022 (2012-2021) sind es “nur” 15,48% mehr.

Wenn ich nun einen Blick auf die Bevölkerungsentwicklung werfe, was das Durchschnittsalter (grob berechnet mit den 5-Jahres-Altersgruppen) betrifft, dann finde ich eine mögliche Erklärung:

Vorarlbergs Bevölkerung wurde nämlich in den 23 Jahren im Schnitt um mehr als 5 Jahre älter in dieser Zeit!

Hier sind diese beiden Entwicklungen in einer Grafik zusammengefasst. Damit ist zwar einerseits erkennbar, dass beide Kurven ansteigen, andererseits ist nicht erklärt, warum das ganze am Schluss so stark zugenommen hat. Wenn Covid als Krankheit der Grund dafür wäre, dann dürfte nicht 2022 das Jahr mit den meisten Todesfällen sein, denn im Jahr 2022 hatten wir DEUTLICH weniger C19-Todesfälle als zuvor.

Diese Grafik zeigt dasselbe, nur anders skaliert. Bei beiden Werten ist nur mehr das obere Drittel dargestellt. Nun sehen wir zum Beispiel besser, dass die Migrationsbewegung 2015 die Alterung eindeutig verlangsamt hat (die pinke Linie steigt nicht mehr so stark an). Wir sehen auch besser, dass bis zum Jahr 2015 bei den Todesfällen pro 100.000 und Woche wenig Bewegung stattfand, die Zahlen dann jedoch durchgehend mit leichten Schwankungen ansteigen.

Wenn wir nur die Entwicklung zum jeweiligen Vorjahr anschauen, dann sieht das so aus:

Es gab – mit Ausnahme von 2015 immer Schwankungen von maximal +/- 5 Prozent. 2020 waren es fast 10% mehr und 2022 mehr als 7%. Und wie war die Entwicklung des Durchschnittsalters in der Bevölkerung?

Offenschtlich gab es von 2000 bis 2015 – mit Ausnahme des Jahrs 2003 – immer eine Zunahme des Durchschnittsalters von 0,61% bis 0,81%. Im Jahr 2016 (die Zahlen stammen immer vom Jahresbeginn, also zeigen sie eigentlich das an, was im Jahr davor passiert ist) waren es plötzlich nur mehr 0,16%, und auch danach lag der Wert nur im ersten Pandemiejahr über 0,5%.
Die “Abnahme der Zunahme” beim Alter seit 2020 kann zwei Gründe haben: Entweder durch Zuwanderung junger Menschen (was sicher der Grund für den Sprung von 2015 auf 2016 ist) oder auch durch mehr Todesfälle bei den älteren MitbürgerInnen.

Frauen oder Männer?

Von den österreichweiten Zahlen wissen wir schon, dass die Sterbezahlen nur bei den Männern die höchsten waren im Jahr 2022. Bei den Frauen gab es anfangs des Jahrtausends andere Jahre, in denen mehr Menschen pro 100.000 und Woche verstarben.

Wie sieht das in Vorarlberg aus? Schauen wir uns zuerst die Männer an:

Es gab nie so viele Todesfälle pro 100.000 Männer wie in den Pandemiejahren – allerdings seltsamerweise mit steigender Tendenz und einem absoluten Spitzenwert im Jahr 2022. Im Vergleich zum 10-Jahres-Schnitt starben 2022 um 18% mehr Männer in Vorarlberg, im Vergleich zum 20-Jahresschnitt vor der Pandemie sogar 26,14%.

Wenn wir uns die Entwicklung zum Vorjahr anschauen, dann sehen wir, dass 2001 un 2002 aufällig waren mit einmal einer starken Zunahme und dann einer “Gegenbewegung” mit fast derselben Abnahme. Danach folgten Jahre, in denen es nur zweimal (2012 und 2017) mehr als 2,5% Veränderung gab zum Vorjahr. Und auf die höchsten Zunahmen folgten immer wieder Jahre mit einem abnehmenden Trend.
Dann kam 2020 mit fast 11% mehr und auch 2021 gab es eine weitere Zunahme – was schon ungewöhnlich ist. Dass dann 2022 wieder mehr als 6% Zunahme zu sehen ist, überrascht umso mehr.

Und bei den Frauen? Gab es hier wie bei den österreichweiten Zahlen andere Jahre mit mehr Todesfällen seit 2000?

NEIN! Allerdings gingen die Werte von 2020 auf 2021 zurück. 2022 war aber auch hier das “schlimmste” Jahr seit 2000. Um 8,53% mehr Todesfälle pro 100.000 Menschen und Woche gab es im Vergleich zum Zehnjahresschnitt vor 2022 und um 19,9% mehr zum 20-Jahresschnitt vor der Pandemie.

Bei den Frauen zeigt sich allerdings ein anderes Bild, wenn wir die Jahre jeweils mit dem vorangegangenen vergleichen: Hier fällt 2004 mit einem Starken Rückgang nach zwei Jahren mit Zunahmen auf. Dann folgen 7 Jahre mit wenig Veränderungen. 2012 und 2013 steigen die Zahlen wieder stark, um 2014 wieder zu sinken.
Danach folgt mit 2015 der größte Sprung nach oben – das heißt, dass die Veränderung von 2014 auf 2015 GRÖSSER war als die von 2019 auf 2020! Letzteres ist fast gleichauf mit 2022, wenn es um die Zunahme der Todesfälle zum Vorjahr geht.

Ein Blick auf die Einzelwochen

Hier sehen wir die einzelnen Wochen aller Jahre seit 2000. Spitzenreiter in Vorarlberg war die KW 49 im Jahr 2020 – damals starben fast 27 Menschen pro 100.000 (das waren absolut gesehen 107 Todesfälle in einer Woche). In der KW 45 im Jahr 2008 hingegen verstarben nur 23 Menschen im Ländle – das entspricht 6,29 pro 100.000. Diese Wochen liegen ja nur einen Monat auseinander, was die Jahreszeit betrifft! Nach der KW 48 von 2020 folgt auf Platz drei dieser Statistik die KW 5 im Jahr 2017 – damals starben 24,4 Personen pro 100.000 – das waren 95 Menschen.

Bei den Frauen war genau diese KW 5 im jahr 2017 auch die Woche mit den meisten Todesfällen seit dem Jahr 2000 in Vorarlberg. Und auch die KW 1 mit 26,2 lag höher als die KW 49 im jahr 2020 mit 26,02.

Am wenigsten Todesfälle gab es bei den Frauen in der KW 34 im Jahr 2000, als nicht einmal 4,5 Frauen pro 100.000 verstarben.

Bei den Männern sieht es ganz anders aus: Hier ist die KW 48 im Jahr 2020 sie mit den meisten Todesfällen (also eine Woche vor dem absoluten Höhepunkt in Vorarlberg) und die Grippewelle von 2017 ist deutlich niedriger und nur in der ersten Woche gut zu sehen – dafür aber auch noch in der letzten Woche von 2016! Dann folgen neben zwei weiteren Wochen aus 2020 schon drei Wochen aus dem Frühjahr von 2022!

Vergleichen wir noch die zwei Jahre 2017 (das mit den meisten Todesfällen vor 2020) und 2022 miteinander:

2017 (oben) zeigt ganz klar die Grippewelle anfangs des Jahres, dann eine weitere Welle im Frühherbst und sonst auch viele Wochen die unter dem Schnitt liegen.
2022 hat bereits von KW 3 bis KW 16 durchgehend Werte über dem Schnitt und insgesamt nur 5 Wochen im Jahr, die unter dem Schnitt der Jahre 2000 bis 2019 liegen!
Und während es 2017 nur vier Wochen zu Beginn des Jahres gab, die Höchstwerte aufzeigen, waren es 2022 ganze 13 Wochen, die Werte haben, die vorher noch nie so hoch waren seit dem Jahr 2000!

Die Altersgruppen

Gibt es denn einzelne Altersgruppen, in denen es im Jahr 2022 eine Rekord-Sterblichkeit gab? Oder war es wieder nur die Summe aller Todesfälle, die 2022 zu einem Jahr mit besonders vielen Todesfällen machte?

EINE einzige Altersgruppe – und zwar nur bei den Männern – weist die höchste jemals dagewesene Sterblichkeit seit dem Jahr 2000 auf. Wer glaubt, es wäre eine mit besonders alten Menschen, der irrt:

Nur bei den Männern im Alter von 25 bis 29 Jahren gab es einen neuen Rekordwert. 1,86 junge Männer in diesem Alter starben pro 100.000 Menschen und Woche im Schnitt im Jahr 2022. Das waren in Summe 13 Männer in diesem Alter – und nie starb mehr als einer pro Woche übers Jahr gesehen. Es gab also keine großen Unfälle, bei denen mehrere junge Männer starben im Land.
Zum Vergleich: Männer im Alter von 80 bis 84 Jahren verstarben in Vorarlberg im letzten Jahr 350. Das waren also 27 Mal mehr als bei den 25-29-Jährigen. Diese 350 Männer sind bei WEITEM die größte absolute Zahl an 80-84-Jährigen, die jemals im Ländle verstarben seit 2000. Trotzdem ist das nicht der höchste Wert pro 100.000 Menschen, weil zB im Jahr 2001 nur 1.280 Männer in diesem Alter in Vorarlberg lebten und 2022 waren es 5.172 – also vier Mal mehr als damals! Darum sind die 125 Todesfälle von damals so viel wie heute 500!

Und das führt dazu, dass diese Statistik so aussieht, wenn wir pro 100.000 Menschen rechnen. Alles klar?

FAZIT

Der Tod gehört zum Leben. Trotzdem kann nicht nur der Tod etwas Kompliziertes sein, sondern auch die Darstellung der Todeszahlen. Ich hoffe, ich konnte das oben etwas genauer ausführen am Beispiel von Vorarlberg.
Im Ländle sind nämlich 2022 einerseits noch nie so viele Menschen pro 100.000 gestorben seit dem Jahr 2000. Andererseits gibt es nur EINE EINZIGE Altersgruppe, in der diese Rekord-Sterblichkeit auch zu sehen ist: Bei den jungen Männern im Alter von 25 bis 29 Jahren. Das sind einerseits fast so viele, wie in den letzten drei Jahren zusammen. Andererseits gab es 2001 auch schon 12 Todesfälle in dieser Altersgruppe in einem Jahr.

Fakt ist, dass die absoluten Zahlen für 2022 (OBACHT – das sind die Summen aller 52 Kalenderwochen, nicht die im Jahr Verstorbenen!) mit 3.524 um fast 8% über den Zahlen von 2021 und fast 7% über den Werten von 2020 liegen. Im Vergleich zum Zehnjahresschnitt sind sie mehr als 20% höher und im Vergleich zum 20-Jahreschnitt vor der Pandemie um 34% – immer alles ABSOLUT gesehen! Auf die Einwohenrzahl relativiert sind es immer noch 15,5% und 23,6%!
Offizielle Covid-Todesfälle gab es übrigens 2020 in nur neun Monaten (ab März) 219, im Jahr 2021 waren es 208 und im vergangenen Jahr 2022 156 – allerdings nur, wenn wir uns die Mühe machen, die 88 “Nachmeldungen”, die ich immer Umetikettierungen nenne, herauszurechnen. Nach “Korrektur” der Daten durch die AGES sind es nämlich in den ersten neun Monaten 291, im Jahr 2021 noch 240 und im Jahr 2022 “nur mehr” 147 Todesfälle an oder mit Covid! Umso erstaunlicher ist es, dass die Todeszahlen 2022 die höchsten waren.
Was ebenfalls noch auffällt: Die Todesfälle bei den Männern waren nicht nur deutlich mehr in der Pandemie – die Männer scheinen auch generell etwas “schneller” zu sterben als die Frauen – die Höhepunkte bei den Grippewellen oder auch bei Covid liegen meist ein bis zwei Wochen vor denen der Frauen…