Verständnisfragen

Heute bin ich auf eine Presseaussendung der österreichischen Presseagentur (APA Science) gestoßen. Sie stammt vom 14. Febraur 2024, ist also einen Monat alt. Es geht dabei um masern und die Impfungen dagegen in Österreich.
Disclaimer: Mir geht es NICHT darum, die Notwendigkeit der Impfung zu hinterfragen – ich bin immer noch der meinung, dass jede Medikation und Präventionsmaßnahme von allen mit den Medizinern ihres Vertrauens zusammen getroffen werden sollte. Mir geht es rein um die Darstellung und die Zahlen dazu:

Ab dem vollendeten 9. Lebensmonat werden zwei Dosen der MMR-Impfung empfohlen. Bei Erstimpfung im 1. Lebensjahr sollte die 2. Dosis nach drei Monaten verabreicht werden. Idealerweise sollten möglichst viele Kinder bereits im ersten Lebensjahr, jedenfalls aber vor Eintritt in Gemeinschaftseinrichtungen wie etwa Kinderkrippe oder Kindergarten geimpft werden. Die Einjährigen wiesen im Jahr 2022 bereits eine Durchimpfungsrate von 82 Prozent für die erste Teilimpfung auf. Dies ist deutlich besser als im Jahr davor, wo bei den Einjährigen nur 71 Prozent der Kinder eine erste Teilimpfung erhalten haben. Bei der zweiten Teilimpfung sinkt die Durchimpfungsrate allerdings auf 45 Prozent. Unter den Einjährigen sind sogar 18 Prozent, also 15.500 Kinder, völlig ungeimpft. Idealerweise sollte bereits in dieser Altersgruppe eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent bei der zweiten Teilimpfung erreicht sein, was nicht annähernd der Fall ist.

https://science.apa.at/power-search/10405475197182512056

Was mich stutzig macht? Da steht ausdücklich, dass Kinder ab dem neunten Lebensmonat geimpft werden sollen. Gehen wir davon aus, dass Babys in Österreich ziemlich “übers Jahr verteilt” zur Welt kommen (das stimmt nicht ganz, weil im Sommer mehr zur Welt kommen, aber ungefähr schon), bedeutet das, dass 75% der “Kinder im ersten Lebensjahr” noch gar nicht geimpft werden können und von den restlichen 25% (also die Kinder, die bereits zwischen neun und 12 Monaten alt sind) auch nicht alle ihre zweite Impfung bekommen können, die ja drei Monate nach der ersten sein soll (9+3=12).

Nun sind seit 2017 die Geburten – mit Ausnahme von 2021 – immer rückläufig gewesen in Österreich. Es darf also nicht verwundern, wenn auch die Impfzahlen zurück gehen, wenn wir davon ausgehen, dass diese wie empfohlen alle möglichst schon im ersten Lebensjahr erfolgen.

Eine weitere Info von weiter oben, wo es um eine Anfrage der NEOS im Parlament geht, habe ich in folgender Grafik zusammengefasst. Dabei sind die “abgerufenen Impfdosen” für den MMR-Impfstoff angegeben pro Jahr – allerdings (nicht, dass es einfach werden woll in Österreich) sind die Daten immer von Anfang februar bis Ende Jänner zusammengefasst (bitte NICHT fragen, warum – ich weiß es nicht). Glücklicherweise habe ich die Daten der Geburten ebenfalls pro Monat vorliegen.
Da nun alle Kinder erst ab neun Monaten geimpft werden sollen, muss ich also für die Impfungen im “Jahr 2018” (Februar bis Jänner) alle Geburten von Mai 2017 bis April 2018 heranziehen – das sind dann die Kinder, die im Zeitraum Februar 2018 bis Jänner 2019 neun Monate alt (rote Säulen) wurden. Und da es immer zwei Impfungen sein sollten, habe ich diese Zahlen verdoppelt (rote strichlierte Linie) und den “abgerufenen Impfdosen” (schwarze Linie) gegenübergestellt:

Nun fällt mir folgendes auf:

  • Für die Jahre 2020 bis 2022 stimmen die Zahlen der abgerufenen Impfdosen recht genau auf die Geburten hin gerechnet.
  • Abweichungen nach UNTEN gibt es nur 2021, da waren es geringfügig weniger als die doppelte Anzehl der Geburten neun Monate zuvor – allerdings sind dort auch die Geburten ab Mai 2020 dabei und die Impfungen fallen auf die Zeit, als es besonders viele Lockdowns und Schulschließungen (und auch Kinderbetreuungseinrichtungsschließungen) gab.
  • Mir fallen eher das Jahr 2019 und auch das Jahr 2023 auf. Bei ersterem gab es etwa DOPPELT so viele abgerufenen Impfungen wie es dann sein sollten, wenn alle Kinder “im ersten Lebensjahr” geimpft werden sollten.
    Beim abgelaufenen Jahr liegen erst Impf-Zahlen für das erste halbe Jahr vor und wenn die mit den Geburten für ebenfalls 6 Monate verglichen werden, dann gab es DEUTLICH mehr Impfungen, als es Geburten gab – das könnte ein Nachholeffekt von 2021 sein…

FAZIT MIT VIELEN FRAGEN

Gab es 2019 noch 338.240 abgerufene Dosen zur Verimpfung, waren es 2020 nur noch 174.907 und 2021 gar nur mehr 158.897 Dosen.

https://science.apa.at/power-search/10405475197182512056

1) Wenn also in der Einleitung des APA-Textes das durch unüblich hohe Zahlen auffallende Jahr 2019 angeführt wird, ist das zumindest “hinterfragenswert”. Oder es WÄRE zumindest so, wenn jemand sich die Mühe macht, mehr als copy & paste – Journalismus zu betreiben. Besonders auffällig ist hier Kärnten, wo die Abrufzahlen von 2018 auf 2019 fast auf das DREIFACHE angestiegen sind. In Salzburg, der Steiermark und NÖ waren es um etwa 80% mehr Impfungen und in Vorarlberg und Wien “nur” etwa 33% bzw. 19% mehr.

Zwar wird nur der Bedarf an Impfstoff abgerufen, der auch benötigt wird. Dennoch kann es sein, dass die Zahl der abgerufenen Dosen nicht der Zahl der verabreichten Impfungen entspricht.

https://science.apa.at/power-search/10405475197182512056

2) Auch dieser Satz wirft Fragen auf – gibt es denn keine Möglichkeit, zum Beispiel über die verrechneten Leistungen, zu erfahren, wie viele Impfdosen verimpft wurden? Und wer bitte ruft Impfstoffe ab und verimpft sie dann nicht?

In der Altersgruppe der Zwei- bis Fünfjährigen zeigt sich laut dem Bericht aus 2022, dass in den Vorjahren die Kleinkinder nicht ausreichend geimpft wurden. Mittlerweile sind in dieser Altersgruppe acht Prozent der Kinder komplett ungeimpft, sodass das Ziel einer 95 Prozent-Durchimpfungsrate nicht einmal bei der ersten Teilimpfung erreicht werden kann. Auch die zweite Teilimpfung haben nur rund 87 Prozent der Kinder bereits erhalten. Konkret heißt das, dass bei fast 19.000 Kindern in dieser Altersgruppe zumindest die zweite Teilimpfung fehlt und weitere 28.200 Kinder noch gar keine Impfung erhalten haben. Vor allem die Kinder des 2019er- und 2020er-Jahrgangs weisen niedrige Durchimpfungsraten auf.

https://science.apa.at/power-search/10405475197182512056

3) Erstens irritiert in diesem Absatz, dass von einem “Bericht aus dem Jahr 2022” gesprochen wird. Denn die Anfragebeantwortung stammt vom Februar 2024 (siehe hier)
Wenn also nun – wie oben zitiert – knapp über 28.000 Kinder gar nicht gegen Masern geimpft waren in Österreich bei den Zwei- bis Fünfjährigen im Jahr 2022: Das betrifft die Jahrgänge 2016 bis 2019, da wurden laut Statistik Austria 345.795 Kinder. Die angegebenen 28.200 Kinder entsprechen in dem Fall 8,2% aller 2 bis 5-Jährigen. Das würde einer Durchimpfungsrate von fast 92% mit der Erstimpfung in diesem Alter entsprechen und nicht 87% wie angegeben. Nur wenn wir auch alle einfach Geimpften dazu zählen, dann stimmt die Zahl mit 87%.
Da jedoch hier zu lesen ist, dass nur etwa 5-10% aller einfach Geimpften eine zweite Impfung brauchen (das RKI spricht von etwa 5%), dürften nicht 6% sondern maximal 0,6% abgezogen werden von den 92% mit mindestens einer Impfung – das sind dann 91,5%.

Zuletzt noch eine Zahl: 226.725 MMR-Impfungen wurden laut Anfragebeantwortung des Gesundheitsministeriums in den Jahren 2018 bis Juli 2023 MEHR angefordert, als es in dem Zeitraum zu impfende Kleinkinder im ersten Lebensjahr gab. Das sind fast zehn Mal so viele, wie die angegebene Zahl von ungeimpften Zwei- bis Fünfjährigen.
Wer wurde also mit diesen Impfungen geimpft? Und warum entstehen dann Zahlen wie 13% “ungeimpfte Kleinkinder” (von denen zumindest 6%, also fast die Hälfte, eine Impfung erhalten haben)?
Ich glaube, dass solche Zahlen nicht dazu beitragen, das “verlorene Vertrauen”, das überall beklagt wird, wieder herzustellen. Richtige, gut aufbereitete Zahlen wären hier sicher empfehlenswerter!