Übersterblichkeit 2022 in Österreich

Immer wieder und immer mehr lese ich zu den hohen Sterbezahlen für das Jahr 2022. Ich wollte mir das Ganze einmal mit den neuesten verfügbaren Zahlen anschauen, die es bei der Statistik Austria gibt – das sind die Daten mit den Verstorbenen unter 65 und ab 65 Jahren. Wir haben also hier keine genauen Daten zu anderen Altersgruppen, diese reichen erst bis zur KW 45.

Die absoluten Zahlen

Das sind – berechnet mit den Daten aus dieser Quelle die Zahlen für die Todesfälle in Österreich bis zur KW 47. Das bedeutet, hier fehlt noch der Dezember.

Wir sehen sofort, dass es von Jahr zu Jahr mehr Todesfälle gab in den letzten drei Jahren bis zur KW 47. Vom Jahr 2000 bis 2015 gab es kein einziges Jahr mit mehr als 73.000 Verstorbenen in Österreich. Auch 2016 war noch einmal deutlich niedriger, danach gab es drei Jahre lang in etwa gleich viele Todesfälle wie im Jahr 2015.
Und dann stiegen die Zahlen auffällig stark an. Schon 2020 waren es mehr als 77.000, 2021 mehr als 79.000 und 2022 stehen wir schon bei mehr als 81.000 Todesfällen!

Die Todesfälle pro 100.000 EW

Wer öfter bei mir mitliest, weiß, was jetzt kommt: Natürlich dürfen wir nicht außer acht lassen, dass Österreichs Bevölkerung gewachsen ist seit 2000. Laut Statistik Austria waren es zu Jahresbeginn 2000 8.063.640 – und am 1. Jänner 2022 lebten 8.978.929 bei uns. Das ist ein Anstieg von 11,35% in 22 Jahren!

So sehen die Zahlen aus, wenn wir das berücksichtigen. Leider habe ich vor 2002 keine genauen Bevölkerungsdaten, daher beginnt diese Grafik beim Jahr 2002.
Pro 100.000 EW starben demnach im Jahr 2003 genau 862 Personen – das waren MEHR als in den Jahren 2015 bis 2019. Sogar 2020 lag mit 869 nur knapp über 2003. Allerdings bleibt der Anstieg für 2021 (891) und 2022 (902) trotzdem erheblich. Und es bleibt auch dabei: NIE gab es – auch relativ gesehen – mehr Todesfälle seit 2002 in Österreich als im laufenden Jahr – bis zur KW 47.
Rechts hab ich hier auch graue Säulen eingezeichnet, sie zeigen den Durchschnitt verschiedener Zeitspannen an. Zwischen 825 (alle Jahre vor der Pandemie) und 853 (die letzten 5 Jahre vor 2022) reichen die Werte.

Der Verlauf der einzelnen Wochen

10-Jahres-Schnitt

Das sind die Jahre ab 2010 – die gelb hinterlegte Fläche zeigt die niedrigsten und höchsten Werte der Abweichungen vom kumulierten Zehnjahresschnitt in dieser Zeit an, die blauen Linien sind die einzelnen Jahre.

Anfangs stammt die höchste Linie von 2017 (Grippewelle zum Jahreswechsel), danach bleibt durchgehend das Jahr 2015 ganz oben. die drei eingefärbten Linien sind 2020 (orange), 2021 (hellrot) und 2022 (dunkelrot). Wir erkennen hier, dass 2022 durchaus noch unter die letzten zwei Jahre absinken könnte, wenn es in den letzten 5 Wochen des Jahres durchschnittliche Sterbezahlen gibt. Wenn wir jedoch das gesamte Jahr betrachten, sehen wir, dass die Linie seit etwa KW8 DURCHGEHEND nach oben steigt. Seit KW 21 ist sie die höchste Linie bis zur KW 47. Das gab es davor nur beim Jahr 2015, das ab KW 13 höher lag als alle anderen Jahre zuvor.

5-Jahres-Schnitt

Im Vergleich zum 5-Jahres-Schnitt vor der Pandemie sieht das Ganze noch viel extermer aus. Seit KW 16 ist hier die Linie von 2022 eindeutig obenauf. Und ob sie von den extremen Anstiegen der letzten beiden Jahre noch eingeholt wird, bleibt abzuwarten. Ein drastisches Absinken wäre jedenfalls bei dem Verlauf bisher eine Überraschung. Was auch auffällt: Im Vergleich zu den letzten 5 Jahren vor der Pandemie gab es 2020 und 2022 bis etwa zur KW 10 WENIGER Todesfälle als im Schnitt davor.
Und was wir hier, weil wenig andere Linie den Blick ablenken, auch gut sehen: 2020 hatte wirklich ab KW 43/44 eine „Welle“ an Todesfällen. Dem war 2021 nicht so, da stiegen die Zahlen zwar ab KW 43/44 ebenfalls mehr an als davor, allerdings gab es nach einer Phase mit unterdurchschnittlich vielen Todesfällen bis KW 17 einen kontinuierlichen Anstieg. Apropos Welle: 2022 ist die „Omikronwelle“ dadurch gekennzeichnet, dass es WENIGER Todesfälle gab bis etwa Mitte März!

Ich bleibe ab jetzt beim Vergleich mit den 5-Jahres-Zahlen, weil wir da mehr und besser sehen, was passiert ist im laufenden Jahr:

Männer oder Frauen?

Waren es denn eher die männlichen oder die weiblichen Todesfälle, die die Übersterblichkeit verursachten?

Bei den Frauen gab es 2022 bis KW 19 eine Untersterblichkeit. Allerdings beginnt die Kurve bereits ab KW 11 zu steigen, und zwar – mit Ausnahme der KW 34 bis 37 – praktisch durchgehend. Allerdings sieht es so aus, als würden die Werte von 2020 und 2021 am Ende des Jahres doch höher sein und bleiben als die Kurve von 2022.

Daher war anzunehmen, dass das bei den Männern etwas anders aussieht. Hier begann die Übersterblichkeit bereits in KW 7 und seit KW 13 könnten wir die Linie fast mit dem Lineal ziehen. Wenn das so bleibt, liegt sie am Ende ganz knapp über dem Wert von 2021.
Auch bei diesen beiden Kurven sehen wir wieder, dass es 2020 eine regelrechte „Welle“ an Todesfällen gegen Ende des Jahres gab, 2021 jedoch schon früher eine durchgehende Übersterblichkeit zu beobachten ist, vor allem bei den Männern. Bei den Frauen ist es eher so, dass es anfangs des Jahres und dann wieder ab etwa KW 31 im Jahr 2021 zu einer ansteigenden Kurve kam.

Junge oder Alte?

Die Daten, die schon bis KW 47 reichen bei der Statistik Austria sind unterteilt in „ab 65 Jahren“ und darunter. Wie sieht es aus, wenn wir auf diese beiden Altersgruppen achten?

Zuerst die Menschen ab 65 Jahren: wir erkennen sofort, dass es auch hier eine deutliche Übersterblichkeit gibt 2022, die ganz ähnlich aussieht wie die der Männer. Der Unterschied liegt eher darin, dass es anfangs wie bei den Frauen eine Untersterblichkeit gibt. Erst ab KW 16 überschreiten die Todesfälle ab 65 Jahren den Schnitt der 5 Jahre vor der Pandemie. Dann geht der Anstieg, der bereits in KW 11 beginnt, jedoch kontinuierlich weiter. Trotzdem dürfte es am Ende des Jahres nicht das Jahr mit den meisten Todesfällen in dieser Altersgruppe werden, weil hier vor allem 2020 extrem hohe Zahlen aufweist mit der „Herbstwelle 2020“. Ich tippe darauf, dass wir schlussendlich in etwa bei den Werten von 2021 landen werden.

Was bedeutet das jetzt bei den Menschen unter 65 Jahren?

Wer nun erwartet hat, dass es auch hier bisher die meisten Todesfälle gegeben hat, wird eines Besseren belehrt. Bis KW 15 lagen wir hier innerhalb der „Streubreite“ der 5 Jahre vor der Pandemie, danach stiegen die Zahlen zwar kontinuierlich, allerdings blieben sie im Bereich der Zahlen des Vorjahres. Bis zur KW 43, ab dann gibt es beim Jahr 2021 einen EXTREMEN Anstieg, der deutlicher ist als der von 2020.

Jüngere oder ältere Männer/Frauen?

Wenn wir jetzt noch schauen, ob es eher die Männer bzw. Frauen unter oder ab 65 Jahren waren, sieht das so aus:

Die Frauen

Zuerst ein Blick auf die Frauen ab 65 Jahren: Hier lagen die Zahlen in allen drei Pandemiejahren on der KW11 unterhalb der Vorjahre und deutlich im „Minus“. Danach ging es 2020 und 2021 unauffällig weiter bis zur KW 31, wo die Zahlen im Vorjahr wieder zu steigen begannen. Im Jahr 2020 dauerte es bis zur KW 43, danach war der Anstieg jedoch umso heftiger.
Wenn der Verlauf der Kurve für 2022 so bleibt wie er seit vielen Wochen ist, dann werden wir wohl zwischen 2020 und 2021 landen in dieser Altersgruppe.

Bei den Frauen unter 65 sieht es so aus: Hier gab es ebenfalls bis zur KW 11 Tiefstwerte in allen drei Pandemiejahren. Danach gab es Schwankungen, die Zahlen blieben jedoch lange unter dem Fünfjahresschnitt. Nur im Jahr 2022 kam es durch einen starken Anstieg von KW 19 bis KW 43 zu einem mehrmaligen kurzen Überschreiten der Linie ab KW 40. In den Jahren 2020 und 2021 erfolgten auch hier starke Anstiege im Herbst, allerdings blieben die Werte am Schluss nur 2021 über dem Schnitt. Was mit 2022 passiert, ist ungewiss, es kann im Schnitt bleiben oder auch noch über dem Schnitt zu liegen kommen.

Die Männer

Wieder zuerst der Blick auf die älteren Todesfälle: 2022 war von KW 14 bis KW 47 eindeutig das Jahr mit den meisten Todesfällen. Allerdings scheint es so zu sein, als würden – durch die starken Anstiege jeweils in den letzten 10 Wochen des Jahres – die Werte von 2020 und 2021 am Schluss leicht höher liegen.

Bei den Männern unter 65 Jahren lagen die Zahlen 2022 bis zur KW 19 am höchsten. Dann liegen sie jedoch hinter denen des Jahres 2021 – aber weit über denen der anderen Jahre. Schlussendlich wird hier 2022 wohl „Platz zwei“ einnehmen hinter 2021.

Auffälliges aus den Bundesländern

Ich habe diese Grafiken (nach Alter und Geschlecht getrennte Kurven) auch für jedes Bundesland erstellt. Hier einige, die besonders auffallen:

In Wien fallen vor allem die Zahlen bei den Männern ab 65 auf. Schon 2021 gab es hier das ganze Jahr über sehr hohe Zahlen und 2022 war nach einem moderaten Start ab KW 30 praktisch gleichauf. Ob der Anstieg am Schluss mit denen der beiden Vorjahre „mithalten“ kann, bleibt abzuwarten…

In Vorarlberg fallen gleich mehrere Kurven auf:

Wie in vielen anderen Bundesländern sind hier die Werte bei den Frauen ab 65 Jahren weit oben zu finden – allerdings liegen sie nur knapp über dem Schnitt der 5 Jahre vor 2020 – bis zur KW 35 – dann beginnen sie zu steigen. Derzeit sind sie die höchsten aller Werte, und es ist durchaus denkbar, dass sie das auch am Jahresende sein werden.
Interessant ist hier auch das Jahr 2021 – das war bis auf die letzten 3 Wochen DURCHGEHEND das Jahr mit den niedrigsten Zahlen seit 2018!

Extrem auffallend ist im „Ländle“ die Kurve der Männer ab 65 Jahren. Das wird mit ziemlicher Sicherheit das Jahr werden, in dem es die meisten Todesfälle bei Männern ab 65 gab.

Weil das so eindrücklich ist, hier noch der Vergleich mit dem Zehnjahresschnitt: Auch hier sticht das Jahr 2022 extrem heraus. Nur ein dramatisches Absinken der Kurve, das ich nicht erwarte, könnte uns noch in die Nähe der Jahre 2020 und 2021 bringen. Hier gab es offensichtlich zwei „Stufen“ – eine von KW10 bis KW 19 und eine von KW 27 bis KW 33 und zulertzt gibt es wieder ansteigende Werte seit KW 39.

In Tirol sind es neben den Männern ab 65 auch die Frauen, die auffallende Werte zeigen:

Schlussendlich werden die Werte zwar wahrscheinlich unter denen des Jahres 2020 liegen, aber der Anstieg zuletzt ab Woche 38 ist doch bemerkenswert!

Ebenfalls auffallend in Tirol sind die Zahlen bei den Männern unter 65 Jahren:

Hier liegen die Zahlen seit Jahresbeginn ganz oben und bleiben das, so wie es aussieht, auch. Es gab zwar wie in allen Jahren eine Entspannung ab KW 27, aber zuletzt stiegen die Werte ähnlich wie 2021 an.

Ganz „unten“ liegen derzeit die Werte bei den Frauen unter 65 Jahren in der Steiermark – das war auch 2020 so, letztes Jahr hingegen gab es am Jahresende und auch im ersten Quartal sehr hoher Zahlen im Vergleich mit dem Schnitt pro 100.000 der 5 Jahre zuvor.

In Salzburg sind die Werte bei den Frauen ab 65 Jahren sehr hoch – seit KW 33 höher als zuvor in den letzten Jahren (auch höher als die Werte der letzten 10 Jahre).

Dasselbe gilt hier auch für die Frauen UNTER 65 Jahren. Da liegt die Kurve für 2022 seit KW 6 durchgehend höher als alle Jahre seit 2017. Nur im Jahr 2012 gab es annähernd hohe Zahlen bei den Frauen unter 65 in Salzburg. Aber auch dort lagen sie am Schluss wieder deutlich unter denen vom laufenden Jahr. 10 Todesfälle mehr als im Schnitt pro 100.000 EW in dieser Altersgruppe sind sehr viel!

Auch in Oberösterreich steigen die Werte bei den Frauen unter 65 Jahren seit KW 15 stark an und liegen derzeit knapp außerhalb des obersten Bereichs der Vorjahre. Allerdings ist das nur beim Fünfjahresschnitt so, wenn wir die 10-Jahres-Werte betrachten, liegt die Kurve zwar über dem Schnitt, aber deutlich unter anderen Jahren.

Auffallend parallel sind die Kurven für 2021 und 2022 bei den Männern unter 65 in NÖ. Nur in den letzten Wochen gehen die Linien wirklich auseinander, damals gab es vor einem Jahr einen deutlichen Anstieg, 2022 fällt die Kurve derzeit leicht ab.

In Kärnten habe ich die Zehnjahres-Grafik gewählt:

Selbst hier stechen die letzten Wochen von 2020 extrem heraus bei den Männern ab 65 Jahren. Was weniger auffällt, ist, dass das laufende Jahr – bis auf den Ausreißer von 2020 – durchgehend ganz oben zu finden ist, wenn auch nie an erste Stelle außer in KW 43.

Last but not least das Burgenland:

Hier sticht am ehesten die Kurve der Männer unter 65 Jahren heraus. Hier gab es offensichtlich ab KW 25 einen starken Anstieg im laufenden Jahr. Während 2020 und 2021 unter dem Schnitt blieben, sieht es so aus, als würde 2022 wohl das Jahr mit den meisten Todesfällen werden seit 2017. Im Zehnjahresschnitt liegt es allerdings ziemlich genau im Durchschnitt bisher.

Weil das Burgenland bei mir oft „vernachlässigt“ wird, gibt es hier noch eine spezielle Grafik:

Hier sehen wir die Todesfälle ALLER Jahre ab 2002 und pro 100.000 Menschen. Und zwar nicht die Abweichungen vom Schnitt, sondern einfach alle Werte. Es gab demnach nie weniger als 41 Tote pro 100.000 EW in dieser Altersgruppe (Männer ab 65 Jahren) und nie mehr als 206 (im Jahr 2003) pro Woche. Wir sehen auch, dass die „Herbstwellen“ im Burgenland bei den Männern ab 65 NICHT die höchsten Werte der letzten 20 Jahre darstellen.

Bei den Frauen ist das anders: Da gab es von KW 46 bis KW 49 die Spitzenwerte im Jahr 2020 – diese lagen jedoch tiefer als die Höchstwerte diverser Grippewellen bei den Frauen ab 65 in anderen Jahren und auch unter den Werten einer Hitzewelle im Sommer 2006!

FAZIT

Auch wenn es in den einzelnen Altersgruppen durchaus unterschiedlich aussieht: Derzeit steuern wir in Sachen Todesfälle im Land auf ein Jahr zu, das es durchaus mit 2020 und 2021 aufnehmen kann. Und nein, dieses Mal liegt es nicht an einer „Corona-Welle“ – das zeigen die Verläufe ganz deutlich. Es ist eher so, dass es DURCHGEHEND hohe Sterbezahlen gibt. Mehr bei den Männern als den Frauen und mehr bei den älteren Menschen als den jüngeren.
Ob es ein „Rekordjahr“ wird, ist noch nicht absehbar, da noch fünf Wochen fehlen bei den Daten.

Was mir gerade auch noch aufgefallen ist: In Wien, NÖ und dem Burgenland gab es in keiner Woche seit Beginn der Pandemie eine einzelne „Spitzenwoche“ in Sachen Todesfälle – weder bei den Frauen noch den Männern unter oder ab 65 Jahren.
Sonst gab es immer zumindest eine Woche, in der die Zahlen – vor allem am Ende des Jahres 2020 die höchsten waren seit dem Jahr 2002. Auffallend sind hier noch drei Bundesländer:

  • Kärnten, wo es in den Wochen 47-49 im Jahr 2020 mit Zahlen von 185 bis 212 Todesfällen pro 100.000 Menschen bei den Männern ab 65 die höchsten Werte gab in der gesamten Pandemie.
  • Salzburg, wo es im Jahr 2021 (Männer unter 65 Jahren in KW 45) und 2022 (Frauen unter 65 Jahren in KW 6) gruppenspezifische Höchstwerte außerhalb der Herbstwelle 2020 – aber in der Pandemiezeit – gab.
  • Und das Burgenland, wo es in der KW 10 bei den Männern ab 65 Jahren mit 207 einen Spitzenwert gab, der österreichweit nur zweimal von Kärnten (im Jahr 2020) übertroffen wurde. Dieser Wert aus dem Burgenland stammt jedoch aus dem Jahr 2003!